Hundegebell dringt an mein Ohr. Ich kenne die Stimme des Hundes ganz genau, sie ist mir vertraut. Jeden Morgen weckt sie mich kurz bevor die ersten Sonnenstrahlen sich über dem Horizont erheben. Wie jeden Morgen denke ich: „Nein, jetzt noch nicht, ich will noch nicht aufstehen!“. Für eine kurze Weile schaffe ich es, das Gebell zu überhören, dann aber fangen die Hähne an zu krähen, der Esel wird lautstark und das Heer der Vögel und Insekten beginnt ihr Konzert. Spätestens jetzt weiß ich, den Lebenstrubel draußen kann ich nicht mehr ignorieren und ich quäle mich aus dem Bett. Erst mal raus auf den Balkon, nochmal die Augen schließen und tief durchatmen und mich dabei anstecken lassen von dem Tumult um mich herum. Wenn so ein Tag und die Natur erwacht, geschieht das in einer enormen Lautstärke. Es kommt mir immer vor, als ob sich die Natur allmorgendlich in einem Freudentaumel befindet, der anschwillt mit jedem Lichtstrahl der Sonne. Freude auf einen Tag, von dem man noch nicht wirklich weiß, was er für einen bereit hält. Es ging nicht von Heut auf Morgen, aber irgendwann war ich ein Teil des Spektakels und der beginnende Tag beschenkte mich mit seiner Kraft.
Heute habe ich frei, wie die meisten Tage dieses Sommers. Ich arbeite auf Abruf in einem alten, traditionellen Apartmenthotel als Tagelöhnerin für 4 Euro die Stunde. Immerhin besser als nichts, wie die vergangenen 5 Jahre. Man wird angerufen, wenn Zimmerendreinigungen anstehen, dann hat man 1- 2 Tage gut zu tun, danach meist wieder 1 oder 2 Wochen nichts. Das Zubrot ist also minimal. In den letzten Jahren haben in der Tourismusbranche hier vor Ort überwiegend Albaner gearbeitet- ausgenommen Rezeptions- oder bestimmte Servicebereiche. Die Albaner, her gekommen seinerzeit als Flüchtlinge, waren stets willig jegliche Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, inklusive Niedriglohn.
Die Geschäftstreibenden hier waren verwöhnt, floss doch das Geld sehr einfach in ihre Hände. Halkidiki hat man auch gern als das Nizza Griechenlands bezeichnet, ein Ort für die Reichen und Schönen. Das touristische Bild prägten Deutsche, Engländer und Franzosen.
Im Zuge der Krise hat sich dieses Bild verändert. Die Wohlhabenden blieben mehr und mehr aus, dafür kamen Touristen aus den slawischen Ländern. Lowbudget-Tourismus, so nennt man das heute. Die überwiegende Zahl der Touristen ist selbstversorgend, meist bringen diese Touristen auch ihre Lebensmittel direkt mit. In Griechenland lebt man nicht so preiswert wie z.b. in Bulgarien oder Serbien. Der Verdienst der Restaurants, Souveniergeschäfte und auch der Supermärkte ist enorm gesunken, trotz guter Touristenzahlen. Nicht selten hat ein Gewerbetreibender am Ende der Saison nicht genügend verdient, um seinen Verpflichtungen nach kommen zu können.
Auch die Ansprüche an die Angestellten haben sich verändert. War es vor Jahren ein Vorteil, wenn man Englisch- oder Französischsprachig war, sollte man heute Russisch oder Serbisch können. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Griechenland versuchen viele Griechen*innen wenigstens über den Sommer in der Tourismusbranche eine Arbeit zu finden. Das Feld ist hart umkämpft, im Servicebreich landet man fast nie mangels Sprachkenntnissen. So findet man heute hochqualifizierte Griechen*innen in Hotelküchen beim Kartoffelschälen und Abwasch für einen Hungerlohn, oftmals in Schwarzarbeit.
Ich habe mitler weile die 3. Tasse Kaffee getrunken. Es ist Zeit, um mit den Hunden eine Runde zu drehen. Die morgendlichen Spaziergänge sind mit die Schönsten. Keine Wortfetzen dringen einem ans Ohr, keine Straßengeräusche, keine laute Musik, schlichtweg kein Tumult von unten aus dem Dorf wird hoch auf den Berg getragen. Einzig und allein hört man das knisternde Geräusch der von der Sonne ausgedörrten Wiesen, während man darüber läuft. Wenn man Glück hat, weht ein leichter, warmer Wind über die schon morgens erhitzte Landschaft. Nachts kühlt es im Sommer kaum ab. Greifvögel kreisen am Himmel, auf der Suche nach Beute. Ich bin immer wieder verwundert, dass es trotz der Hitze und der regenlosen Zeit noch blühende Pflanzen gibt, die der Sonne und ihrer Kraft stand halten können. Insekten umschwirren ihre Blüten, auf dem Boden krabbeln Heerscharen von geschäftigen Ameisen auf endlos erscheinenden Ameisenstraßen. Unbeschreiblich der Duft von Minze, Oregano und Thymian, die hier überall wild wachsen. Ich pflücke ein kleines Kräutersträußchen und nehme es mit nach Hause.
Zurück zu Hause versuche ich wie jeden Tag, nicht ins Grübeln zu kommen. Ich stehe im Wohnzimmer und schaue mich um. Hier wäre eine Menge zu tun, ich entschließe mich, nur das Notwendigste zu erledigen. Beim Putzen fließen die Gedanken immer so ungehindert, der Kopf wird nicht gefordert. Ich kann sie momentan nicht ertragen, diese seit Jahren immer wieder kehrenden Gedanken, auf die es keine Antworten gibt und sich keine Lösungen finden lassen.
„Was machst du, wenn du krank wirst ohne Krankenversicherung ? Was wirst du tun ohne vernünftige Altersversorgung ? Werden wir das Haus halten können auf Dauer? Können wir die nächste Rate für den Strom bezahlen? Wann werden wir es schaffen, wieder Eigenständig unser Leben zu meistern, ohne auf die großartige Hilfe unserer Familien und Freunde angewiesen zu sein? Schafft Georgios es, genügend Holz aus dem Wald zu holen für den nächsten Winter? Ich kann ihm nicht mehr helfen, dafür habe ich nicht mehr genügend Kraft. Wie wird die Zukunft aussehen? “ All solch kleine und große zermürbende Fragen, von denen es noch unzählige mehr gibt. Ich kann sie nicht mehr „er“tragen.
Also, auf welches Ablenkungsmanöver hab ich heute Lust ?
Bis Junimitte habe ich mich gern stundenlang an den Teich im Garten gesetzt und hineingestarrt. Hineingestarrt ist vielleicht das falsche Wort. Ich habe die Fische, Schildkröten, Frösche, Kröten, Insekten und die junge Schlange beobachtet, die zur Abkühlung manchmal eine Runde im Teich gedreht hat und eine Menge gelernt dabei. Sowieso bin ich verblüfft, wieviel Leben der Teich angezogen hat, in aller Windeseile.
Der Teich sollte eigentlich mal eine Zisterne werden. Das Loch dazu habe ich schon im letzten Winter gebuddelt, da ist die Erde schön weich durch die vielen Niederschläge. Dann stagnierte das Zisternenprojekt mangels Möglichkeiten der Fertigstellung.
Im Frühjahr überraschten Georgios und unser bester Freund mich mit 2 Wasserschildkröten, Abgabeschildkröten, die brauchten ein neues zu Hause. Zuerst kamen die Zwei in ein Aquarium, welches bestenfalls nur eine Übergangslösung war, denn es war zu klein. Kurzerhand wurde das Zisternenloch vergrößert und als Teich umfunktioniert. Ein Teich in Griechenland ist eine spannende Sache, schon allein wegen der Hitze im Sommer. Aber das Biotop entwickelt sich prächtig und ich habe meine helle Freude daran.
Jetzt haben wir Mitte Juli, stundenlang draußen sitzen kann man bestenfalls noch am Meer unten, ansonsten ist die Hitze unerträglich. Ans Meer gehen wir nicht sehr oft, vielleicht 1x in der Woche. Es ist abhängig von unserem Sprit im Motorradtank, ob wir direkt hier im Ort ans Meer gehen und uns somit ins touristische Getümmel begeben oder ob wir etwas weiter fahren, an einen ruhigen Strand. Sprit für eigentlich unnötige Wege bedeutet für uns Luxus. Jeden Monat wird das Motorrad betankt mit Sprit für 20 Euro, das muss reichen für alle anstehenden Wege hier auf dem Land. Man muss immer gut abwägen, wieviel Bewegungsradius man sich gönnt über den Monat.
Heute entscheide ich mich für Malen. Ich male mit Kohle. Man kann nicht behaupten, dass ich die geborene Künstlerin wäre, aber mir persönlich gefallen die Resultate meiner Malerei und so langsam wird aus unserem Treppenaufgang eine kleine Galerie aus Bildern, Holzarbeiten und anderem, kreativem Gehänge. Malen, überhaupt jegliches kreative arbeiten, entspannt mich, weil ich mich auf die Arbeit vor mir konzentrieren muss. Da bleibt kein Raum für quälende Gedanken und die Zeit verfliegt in Windeseile. On Topp hat man etwas geschaffen, was einem ein gutes Gefühl gibt.
Manchmal schaue ich auf beim Malen und sehe zu Georgios. Seine dunklen Augen blicken ständig grübelnd. Er ist ein stiller Mensch geworden, der nur noch selten lächelt. Die unbeschwerten Momente, die es gab zu unserer Anfangszeit, sie sind Vergangenheit. Damals hatten wir noch Hoffnung und waren voll euphorischer Hingabe. Alles weggebröckelt im Laufe der Jahre. Nur eines ist beständig über all die Zeit, unsere Liebe, so etwas leben zu dürfen bleibt heutzutage den meisten Menschen vorenthalten.
Das Bild ist heute nicht fertig geworden und ich lege es wieder zurück auf den Küchentisch, dort bleibt es bis zur nächsten Malstunde.
Hundespaziergang steht nun auf dem Plan bei sengender Hitze, begleitet von dem schrillen Gesang der Singzikaden, die immer lauter werden, je heißer es wird.
Danach ein Abstecher ins nächste Dorf, wir brauchen Obst und Gemüse und ich muss mir meine monatliche Spritze in der Apotheke abholen. Hinten im Lagerraum der Apotheke spritzt mich der Apotheker einmal im Monat, das ist wesentlich preiswerter als würde es ein Arzt tun. Und wenn wir schon mal im Dorf sind, schauen wir auch direkt bei unserem besten Freund vorbei. Dann zurück nach Hause.
Wieder ist ein Tag fast vorbei und trotz Allem hatte er viele, lebenswerte Momente.
An der Garderobe hängt mein Mäntelchen Würde, im vorbei gehen streiche ich über sie und sag zu ihr: „Keine Sorge, ich werde dich eines Tages wieder anziehen!“
❤❤❤
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