Funken

 

 

Ich schaue hinüber zu Georgios- heimlich- während ich etwas ganz anderes mache. So mach ich das oft. Ich sehe einen starken Menschen, einen Menschen, der niemals aufgeben würde. So war er schon immer, stark! Aber die Jahre nagen an uns, dieses Leben raubt uns das Lachen. Immer öfter sehe ich in den Augen des Menschen, den ich liebe, grosse Traurigkeit und den steten Wunsch, Lösungen zu finden in einer Situation, die keine Lösungen bereit hält. Ich weiß, dass er sich grosse Sorgen macht, nicht zuletzt um mich. Ich war nun lange krank, alles in allem ein halbes Jahr. Vielleicht hätte es weniger lang gedauert, wenn man vernünftig zu einem Arzt hätte gehen können, aber ohne Krankenversicherung und finanziellen Spielraum ist das kaum möglich. Körperlich war ich schon immer stark, aber diese 6 Monate haben meinen Körper in einen absoluten Schwachpunkt verwandelt, kraftlos, ohne jegliche Kondition. 100 Meter gehen, das war eine Herausforderung für mich, die ich nach der langen Ruhigstellung tatsächlich nicht gemeistert habe. Ich fing an die Wendeltreppe im Haus hoch und runter zu laufen, naja, zu Anfang hab ich gerade mal die Hälfte der Treppe geschafft. Das Ziel war, 10x diese Treppe zu meistern, ohne danach das Gefühl zu haben, man würde gleich zusammen brechen. Der Körper ist ein wunderbares Meisterwerk, der brav mit arbeitet, wenn man ihm die Möglichkeit dazu gibt. Nach dem Treppensteigen war Tanzen an der Reihe. Mich haben schon immer griechische Tänze fasziniert, aber ich kann selbst keinen einzigen. Auf youtube kann man ja alles finden, selbst Lernvideos für griechische Tänze, also ran an den Tanz.
Manche sagen, Tanz und Musik befreit die Seele, ich glaube, ich muss noch sehr viel tanzen …

Georgios arbeitet seit letztem Sommer an einer Schule, es ist wieder einmal ein befristetes Arbeitsverhältnis über 8 Monate. Unbezahlt in diesem Arbeitsverhältnis bleiben Ferien und Feiertage, es gab viel Ferien und Feiertage die letzten Monate. Von einem Lohn, der sich auf 450 euro beläuft, blieben durch die unbezahlten Tage vom Lohn nur noch zwischen 150 – 240 euro übrig. Bei 450 Euro Lohn bezahlst du weder Strom noch Wasser noch andere Fälligkeiten, bei noch weniger hat man schlicht nicht jeden Tag etwas auf dem Teller. Bei diesem Job muss man jeden Monat in die nächst grössere Stadt zur Behörde um dort persönlich den beglaubigten Nachweis der geleisteten Arbeitstage des Monats abzuliefern. Das ist eine Strecke von 50 km hin und zurück. Liefert man das Papier nicht ab, gibt es keinen Lohn. Bei runter reduziertem Lohn muss man sich zwischen Essen oder Sprit entscheiden. Die Entscheidung fällt auf Sprit.

Und dann sehe ich wieder in die Augen von Georgios, sehe diese Qual der Last, die er trägt. Ich kann sie ihm nicht nehmen, kein Stück. Wir sprechen schon lange nicht mehr über all das. In den letzten Jahren haben wir alles analysiert, besprochen, gewendet und gedreht, alles wurde schon gesagt. So entsteht Stille. Jeder von uns steht an seinem persönlichen Abgrund, bemüht, nicht hinunter zu stürzen. Ich glaube, genau an dem Punkt zerbrechen viele Beziehungen, nicht am Mangel von Liebe, sondern an der Unerträglichkeit des Lebens. Wir stehen vor dem Abgrund, aber aufrecht. Den einzigen Halt den man hat, dass man nicht auf die Knie rutscht und somit näher an den Abgrund, ist der Andere. Ich hoffe, das wird sich niemals ändern.

Neulich sagte mal jemand zu mir, wir hätten doch einen guten Backround und wären deswegen gar nicht so übel dran. Mit Backround meinte dieser Mensch all die guten Seelen, die uns nun schon Jahre zur Seite stehen. Im ersten Moment wollte mir eine pampige Antwort über die Lippen kommen, aber dann hab ich nur gelächelt und mit dem Kopf genickt. Sicher stimmt es, ohne die helfenden Hände wären wir noch viel übler dran. Für mich sind diese Menschen Engel, die ganz selbstlos Liebe, Freude und ein bisschen Farbe in unser Leben bringen. Sie helfen Not zu lindern, nicht nur unsere, sondern auch die von Anderen. Diese Menschen, ganz gleich ob blutsverwandt oder nicht, sind meine Familie, mit denen ich mich tief verbunden fühle. Sie schenken uns offene Ohren und Herzen, Anteilnahme, Geduld, Respekt, Zeit, schenken Zuversicht, versprühen Hoffnung und Liebe. All diese großartigen Dinge, neben der materiellen Hilfe, die Menschen an Menschen weiter geben können. Füreinander da sein, über alle Grenzen hinaus- und hiermit meine ich nicht nur die Landesgrenzen.

Ich gäbe was drum die alte Bille wieder zu finden, denn die habe ich verloren. Die, die Morgens aufgestanden ist und den Kopf voller Gedanken und Ideen hatte, so viel, dass ein Tag zu kurz war um auch nur ansatzweise allen Gedanken und Ideen gerecht zu werden. Die Bille, die immer das Gefühl hatte, der Tag hätte zu wenig Stunden, die getragen wurde von Zielstrebigkeit und Hoffnung. Nur ein klein bisschen von dieser Euphorie und dem Mut von früher, der Antrieb war für so vieles, mehr möchte ich nicht. Nur einen Funken, der das Leben wieder entzündet.
Diesen Funken wünsch ich mir für uns alle, die am Abgrund stehen, egal wo auf dieser Welt. Das Feuer, welches er entfachen könnte, wäre riesig. Der letzte Funke Hoffnung seid ihr Menschen.

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