Schlaflos

 

Mitten in der Nacht, ich sitze hier, schlaflos. Eine der Neuerungen, die sich so etabliert  hat. Früher hatte ich kein Problem mit dem Schlaf. Heute ist das anders. Sie schlich sich an, die Schlaflosigkeit und mit ihr die immer wieder kehrenden, kreisenden Gedanken:
„Wo ist die Lösung für eine Lebensgrundlage?“ ..
Ja, ich weiss, einige werden nun sagen :“Ach, es gibt Menschen, die sind noch viel schlechter dran als ihr.“ Richtig! Man wird auf diesem Planeten immer Menschen finden die in Situationen stecken, die noch viel  schlechter ist als unsere und wenn man möchte, kann man den Entzug jeglicher Existenzgrundlage damit dann vergleichen und Armut herunter spielen. Klar, das steht jedem frei dies zu tun. Genau das ist auch eine Form von weg schauen, die weit verbreitet ist. Es geht mir auch gar nicht darum, unsere Armut in den Vordergrund zu spielen, überhaupt nicht. Viel mehr geht es mir darum, darauf hinzuweisen, dass sie existiert- nicht nur für uns, sondern für hundertausende Andere in diesem Land.
Hundertausende, die Morgens aufstehen und nicht wissen, wie sie die grundlegendsten Dinge des Alltags meistern sollen. Wir haben kein minimales Versorungspaket inklusive einer Krankenversicherung, welches dir ein Überleben Monat für Monat sichert seitens des Staates und den Zugang zu ärztlicher Versorgung garantiert. Familie und Freunde sind deine Überlebenshelfer in jedem Bereich und das fängt beim Toilettenpapier an und hört beim Arztbesuch auf. Alles, aber auch alles wird getragen von diesen Menschen, ob es nun deine Zahnpasta oder dein Deo ist; dein Spülmittel oder die Einkäufe, die du zwangsläufig tätigen musst; die anfallenden Kosten für die Wohnung/Haus, Strom, Wasser, Steuern; du brauchst neue Unterwäsche ? Du wirst Familie und Freunde darum bitten müssen, nicht nur um das, schlichtweg um Alles. Mit der Zeit ist es auch egal, wie du aussiehst, es spielt keine Rolle mehr, es verliert die Wichtigkeit ob z.b. deine Haare geschnitten sind oder nicht, ob deine Klamottenkombination zusammen passt oder nicht oder ob deine Schuhe zu gross oder zu klein sind- völlig unwichtig. Es ist so unwichtig, wie deine Würde, die du irgendwann einmal einfach abgelegt hast, um noch atmen zu können.
Die Eltern mit ihrer kleinen Rente finanzieren überwiegend unser Leben, wohl wissend, dass diese alten Menschen sich in ihrem Alltag dafür sehr einschränken müssen und auf vieles verzichten. Genau wie die Schwester, die monatlich von ihrem Lohn Geld zur Unterstützung für uns ab gibt. So läuft das in allen Familien hier in Griechenland und Wohl denen, die noch Familie haben, die unterstützen kann. Für die Zigtausenden, deren Familien eine Unterstützung nicht mehr leisten können, bedeutet das noch schlimmere Einschnitte in ihrem Leben und am Ende steht die Obdachlosigkeit, komplette Verarmung.
Vor 5 Jahren noch waren wir aktiv im Protest, bis ungefähr vor 2 Jahren, auch Länderübergreifend. Wir wurden regelmässig überwacht, verhaftet und wieder laufen gelassen. Wir hatten Hoffnungen- logisch und wir wollten kämpfen, besonders für die unantastbare Menschenwürde, die täglich mit Füssen getreten wurde und wird, die fortschreitende Verarmung und Perspektivenlosigkeit. Wir folgten vielen Aufrufen und organisierten selbst auch Einige. Ich kann nicht sagen, dass diesen Aufrufen wenig Menschen gefolgt sind, im Gegenteil. Es waren immer sehr viel Menschen da. Menschen- junge und alte- ohne Zukunftsperspektiven, die in jedem Aufruf einen Hoffnungsschimmer sahen für eventuelle Lösungen ihrer eigenen Probleme. Die ersten Treffen verliefen alle sehr ähnlich, Menschen, die von ihrem Schicksal erzählten, empört, verzweifelt mit viel Tränen, kraftlos an dem Punkt, an dem sie waren. Sie alle brachten immer die Hoffnung mit, dass wir Lösungen anbieten, die sie in Anspruch nehmen könnten. Aber dem war ja nicht so, wir hatten keine Lösungspakete in der Tasche. Alles was wir anbieten konnten, waren alternative Vorschläge der Selbstorganisation, um uns so gegenseitig helfen zu können, eben ein Netzwerk der Hilfe entstehen lassen. Schnell war den Leuten klar, dass man sich dafür  selbst regelmässig einbringen muss, sonst hat so etwas keine Chance. Spätestens ab dem Zeitpunkt war die Hälfte der Leute verschwunden. Im verbleibenden Rest befanden sich zu 100% jedes Mal mindestens 2-3 Quertreiber, Quertreiber, die ihren Job verstanden, geschickt von Parteien, mit dem Ziel, etwaige Organisation direkt im Keim zu ersticken und ganz nebenbei noch Leute abzuwerben. Ja, so läuft das Spiel. Diese Quertreiber nahmen immer sehr schnell das Ruder in die Hand, standen auf, hielten mitreissende Monologe. Anfangs haben wir uns noch die Mühe gemacht, dagegen zu argumentieren, später flogen solche Leute sofort aus der Gruppe. Es macht keinen Sinn sich mit diesen Leuten auseinander zu setzen, zudem ist es schlichtweg zeitraubend und nicht zielführend. Im Laufe der Jahre kristallisierte sich ein fester Kern heraus mit absolut zuverlässigen Menschen. Das war in der Tat eine schöne Zeit, die auch Resultate brachte. Leider trieben uns unsere eigenen Lebensumstände auseinander, quasi in alle Himmelsrichtungen. Auch das ist eine Konsequenz von Armut, man wird in die Ecke der Inaktivität geschickt und kommt da kaum mehr raus, gefangen als Überlebenskünstler. Für mich der Hauptgrund für das Schweigen von so Vielen hier und die Antwort auf meine früher oftmals verständnislose Frage: „Wieso bewegen sich diese vielen Menschen einfach nicht mehr ??“
Manchmal schaffen wir es, uns noch zu treffen, die alte Gruppe, die wir mal waren. Wir träumen immer noch, wir reden viel, wir hoffen nach wie vor. Aber alles ist nur noch theoretisch, die Praxis können wir nicht mehr umsetzen. Wir sind auch nicht mehr so hitzig, euphorisch. Und unsere Ideen nehmen andere Wege, die meist auch mit Selbstorganisation nichts mehr zu tun haben. „Hirngespinste“, die wir uns lächelnd gegenseitig erzählen, wohl wissend, das nichts von Allem umgesetzt werden kann, weil Jedem von uns einfach die Lebensgrundlage fehlt. Alles was bleibt, ist zu warten, zu warten auf den passenden Zug, der irgendwann so viel Fahrt hat, dass man ihn nicht mehr aufhalten kann. Ich weiss, dass diesen Zug viele nehmen werden, ohne Rücksicht auf all die, die noch was haben.
Die Zeit der Stille wird einmal ein Ende haben.

Bis dahin versuchen wir einfach, weiter zu überleben. Sich abzulenken, durch die Natur zu laufen und sie zu bewundern. Die Schönheit dieser Welt in sich aufzusaugen, die stetig ist, nicht aufhört zu sein. Man darf nicht ganz zerbrechen, es muss ein bißchen Kraft erhalten bleiben, sonst kann es nicht weiter gehen.

Ich bin nun ein bisschen abgedriftet, hatte andere Gedanken im Kopf, als ich zu schreiben anfing, egal. So ist es jetzt eine kleine Rückblende geworden, vielleicht auch, weil einfach alles stagniert ist und die Gedanken immer wieder regelmäßig in der Vergangenheit kramen, als ob da eine verborgene, bisher übersehene Antwort versteckt wäre.
Bis bald.

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